Gabriele Tergit

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Anfänge

Gabriele Tergit als junges Mädchen, um 1912 (Bildquelle: Nachlass Naomi Reifenberg).

Gabriele Tergit wurde am 4. März 1894 als Tochter des Gründers der Deutschen Kabelwerke, Siegfried Hirschmann, und seiner Frau Frieda (geb. Ullmann) als Elise Hirschmann in Berlin geboren.

Nach dem Besuch der ‚Sozialen Frauenschule‘ und Tätigkeiten in Kindertagesstätten und bei der Lehrstellenvermittlung studierte sie von 1919 bis 1923 Soziologie, Geschichte und Philosophie in München, Heidelberg und Berlin. 1925 wurde sie mit einer Arbeit über den Naturwissenschaftler und Paulskirchenabgeordneten Carl Vogt an der Universität Frankfurt promoviert.

Zu dieser Zeit berichtete sie bereits als eine der ersten weiblichen Gerichtsreporter aus dem Kriminalgericht Berlin-Moabit, schrieb Feuilletons, Reportagen und Porträts für die „Vossische Zeitung“, den „Berliner Börsen-Courier“, das „Handelsblatt“, die „Weltbühne“, die „Dame“ und vor allem für Theodor Wolffs berühmtes „Berliner Tageblatt“. In seiner Lokalredaktion war sie seit 1924 als Pauschalistin angestellt.

1928 heiratete Tergit den jüdischen Architekten Heinrich Julius (‚Heinz‘) Reifenberg. Im selben Jahr kam ihr Sohn Ernst Robert (‚Peter‘) zur Welt, der später ein angesehener Mathematiker werden sollte.

Als die Republik zusehends nach rechts driftete, wandte sich Tergit vermehrt der politisch gefärbten Gerichtsreportage zu. Das trug ihr den Hass und Argwohn der Nationalsozialisten ein: Ihr satirischer Zeitroman Käsebier erobert den Kurfürstendamm, mit dem sich Tergit 1931/1932 neben Erich Kästner, Hans Fallada, Irmgard Keun und Vicki Baum als eine der prominentesten Romanautor*innen im Umfeld der Neuen Sachlichkeit etabliert hatte, wurde 1933 von den Nationalsozialisten verboten.

 

Emigration und Exil

Spindlermühle, 1933 (Bildquelle: Nachlass Naomi Reifenberg).

Nach einem Überfall des ‚Sturm 33‘ auf ihre Wohnung im Berliner Tiergartenviertel floh Tergit im März 1933 in die Tschechoslowakei. Auf ein halbes Jahr in Spindlermühle im tschechoslowakischen Riesengebirge und in Prag folgte im Herbst desselben Jahres die Emigration nach Palästina.

In Jerusalem und Tel Aviv ließ sie ihren noch in Berlin begonnenen Generationenroman Effingers zunächst liegen und begann die Arbeit an ihrem ‚Palästina-Konvolut‘, literarisch-journalistischen Streifzügen durch den Orient, die Mitte der 1930er Jahre keinen Verleger fanden und in Auszügen erst 1996 postum in dem Band Im Schnellzug nach Haifa veröffentlicht wurden.

Nach fünf von Krankheiten, nur vereinzelten Publikationsmöglichkeiten und der gesellschaftspolitisch aufgeladenen Stimmung in der britischen Mandatsmacht gekennzeichneten Jahren siedelte Tergit mit ihrem Mann und Sohn im Frühjahr 1938 nach England über. Ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ließ sich die Familie in London nieder.

Gabriele Tergit und ihr Ehemann Heinz Reifenberg (Bildquelle: Nachlass Naomi Reifenberg)

 

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg kehrte Tergit seit 1948 etwa alle zwei Jahre besuchshalber nach Berlin zurück. Von ihren Eindrücken von der zerstörten Heimat spricht ihr postum veröffentlichtes Romanfragment Der erste Zug nach Berlin (2000).

Zudem versuchte sie an ihre einst erfolgreiche Zeit als Gerichtsreporterin anzuknüpfen, berichtete u.a. für den „Tagesspiegel“ aus London und für die „Neue Zeitung“ vom Hamburger Prozess gegen den Filmregisseur Veit Harlan, der den NS-Propagandafilm Jud Süß gedreht hatte. Es blieb jedoch bei sporadischen, häufig unbezahlten Beiträgen für die „Gazetten“ (Tergit), bei denen man sie nach dem Krieg oft nicht mehr kannte.

Und auch ihre beharrlichen Bemühungen um Kontinuität im angestammten literarischen Milieu liefen überwiegend ins Leere: Tergits großteils 1938 fertiggestellter Roman Effingers konnte erst 1951 erscheinen und fand kaum ein Echo bei der zeitgenössischen Leserschaft. 2018 wurde der Roman im Schöffling Verlag neu aufgelegt.

Ihr dritter, Ende der 1950er Jahre entstandener Roman So war’s eben erschien erstmals 2021, herausgegeben aus dem Nachlass von Nicole Henneberg. Viele von Tergits Texten sind bis heute unveröffentlicht.

Seit Beginn der 1950er Jahre wandte sich Tergit mit dem Büchlein vom Bett (1954), Kaiserkron und Päonien rot. Kleine Kulturgeschichte der Blumen (1958) und dem Tulpenbüchlein (1965) kulturgeschichtlichen Themen zu.

Zudem widmete sie sich seit 1954 für beinahe 25 Jahre ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit für das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland mit Sitz in London – zunächst als Schatzmeisterin, dann als Sekretärin. Da war ihre Arbeit schon von dem Leiden an einer Augenkrankheit bestimmt, die sie zusehends beeinträchtigte. 1964 verunglückte Tergits Sohn tödlich, vier Jahr später starb ihr Mann.

Ihre regelmäßigen privaten und geschäftlichen Reisen zu PEN-Kongressen, die sie u.a. nach Italien, Spanien, Frankreich, in die Schweiz, in die Niederlande, nach Dänemark, in die USA und immer wieder nach Berlin führten, unternahm Tergit fortan gerne mit ihrer Schwiegertochter Penny Chettle und ihrer Enkelin Naomi Reifenberg.

Bis zu ihrem Tod lebte sie im Londoner Stadtteil Putney und konzentrierte sich dort zuletzt vor allem auf ihren Garten, der „ihre ganze Liebe und Hauptarbeit“ (Tergit) wurde. Tergit starb am 25. Juli 1982 im Alter von 88 Jahren in London.

Gabriele Tergit (picture alliance / Sammlung Richter)